Text: Johanna Adorján Photo: Jürgen
Stein aus => www.jetzt.de
Wie zahlen Sie Ihre Miete?
Die ersten zwei Jahre habe ich nur in Wohnungen gewohnt, deren Besitzer
gerade verreist waren, und habe das Haus gehütet. Als Gegenleistung
durfte ich umsonst wohnen und essen. So war ich mal hier, mal dort, wo
ich eben gerade gebraucht wurde.
Und heute?
Da habe ich mehrere Möglichkeiten. Ich habe den Schlüssel
zu einem Büro, da kann ich immer hin. Dann habe ich noch den Schlüssel
zu der Wohnung einer Frau, die so gut wie nie da ist. Seit drei Jahren
pflegt sie ihre todkranke alte Mutter, muss rund um die Uhr bei ihr sein,
und so steht ihre Wohnung quasi leer. Als ich davon gehört habe, schlug
ich vor, bei der Pflege der Mutter zu helfen und dafür bei ihr schlafen
zu dürfen. Sie hat keine Mehrausgaben durch mich - außer dem
Bett benutze ich nichts.
Fehlt Ihnen nicht das eigene Bett?
Dafür habe ich heute so viel mehr, was ich früher nicht hatte:
Kontakte, für mich das Wichtigste überhaupt. Einmal die Woche
gehe ich zu einer Familie und bringe da die Kinder ins Bett. Die Eltern
bekommen einen freien Abend, ich Übernachtung, Abendbrot, Frühstück,
und meine Wäsche kann ich auch dort waschen. Und am Wochenende bin
ich immer bei einer Frau, die im Rollstuhl sitzt.
Frau Schwermer, was haben Sie gegen Geld?
Wieso? Ich verteufele Geld ja nicht oder sage, alle sollen ohne Geld
leben. Ich habe nichts gegen Geld. Mir missfällt aber, was wir daraus
gemacht haben. Geld ist heute mehr als ein Tauschmittel - es definiert
den Wert des Menschen. Habe ich viel, bin ich auch viel wert.
Ziemlich radikal, da gleich ganz auf Geld zu verzichten.
Ursprünglich war es nur als Experiment von einem Jahr geplant,
doch dann habe ich gemerkt, wie mein Leben dadurch gewinnt, und bin dabei
geblieben. Mir geht es darum, die Kluft zwischen Arm und Reich zu überwinden.
In Dortmund, wo ich lebe, gibt es viel Armut, viele Obdachlose. Mir ist
das immer sehr nahe gegangen, und eines Tages hörte ich im Radio von
einem Tauschring in Kanada. In einem Dorf war eine Fabrik eingegangen,
alle Bürger wurden arbeitslos. Die haben sich dann gegenseitig geholfen
durch Tausch: Ich repariere dir dein Dach, du passt auf mein Baby auf.
Das fand ich einleuchtend, und so habe ich selbst einen Tauschring gegründet,
die Gib-und-Nimm-Zentrale. Und um zu beweisen, dass es funktioniert, habe
ich beschlossen, ganz ohne Geld auszukommen.
Ist das nicht furchtbar kompliziert? Was machen Sie beispielsweise,
wenn Sie ins Kino gehen wollen?
Ich überlege mir, mit wem ich da hingehen könnte, und dann
biete ich demjenigen etwas an, das ich im Gegenzug für ihn tun könnte.
Sie sind immer abhängig von anderen.
Ich empfinde mich als unabhängiger als früher. Ich kann tun
und lassen, was ich will. Jeden Morgen kann ich entscheiden, wie ich meinen
Tag gestalte. Außerdem bedeutet Geld oft auch eine Trennung zwischen
Menschen. Natürlich ist es angenehm, mit Geld zu bezahlen, aber es
isoliert. Die Menschen gehen los, holen sich alles für Geld und haben
den ganzen Tag keine Gespräche. Bei mir fängt es schon an, wenn
ich nur mal mit der Straßenbahn fahren will. Ich habe die Nummern
von fünf Leuten, die übertragbare Tickets haben. Die rufe ich
an, frage, ob ich es leihen kann. Ich hole es ab: Kontakt. Ich bringe es
zurück: Kontakt.
Jetzt haben Sie über Ihre Erfahrungen ein =>Buch
geschrieben, "Das Sterntaler-Experiment", und dafür natürlich
Geld bekommen. Was machen Sie damit?
Vier Jahre lang habe ich ganz konsequent ohne Geld gelebt, habe keinen
Pfennig angefasst - seit neuestem besitze ich wieder ein Portemonnaie.
Hin und wieder kaufe ich mir etwas, ich will nicht dogmatisch sein. Aber
das meiste verschenke ich. Wenn ich jemanden sehe, der wirklich etwas braucht
- allein erziehende Mütter, Obdachlose, es gibt ja genug, die zu wenig
haben, - denen gebe ich dann was.
Träumen Sie davon, dass alle so leben wie Sie?
Nein, jeder muss seinen eigenen Weg finden. Es gibt ein solches Massenbewusstsein
darüber, was im Leben wichtig ist: Schule, Abitur, Studium, ein guter
Beruf, ein eigenes Haus, ein großes Auto... Das mag ja für manche
stimmen, aber doch nicht für jeden!
Wer nicht auf Geld verzichten will...
...der kann klein anfangen. Er kann sich zum Beispiel bei jeder Sache,
die er kaufen will, fragen: Brauche ich das wirklich? Ganz schnell wird
er merken, dass man sich sehr viel Überflüssiges kauft, viel
mehr Kleider zum Beispiel, als man tatsächlich bräuchte.
Aber gerade die Sachen, die man nicht unbedingt braucht, machen doch
am meisten Spaß.
Wenn es jemandem Spaß macht, Kleider zu kaufen, die nicht dringend
nötig sind, dann ist das auch richtig für ihn - und dann braucht
dieser Mensch das auch. Ich nicht.
Was ist Luxus für Sie?
Alles. Dass ich jetzt hier sitze. Dass ich rund um die Uhr mit sinnvollen
Dingen beschäftigt bin. Dass ich theoretisch jetzt ein paar Wochen
nach Portugal fahren könnte, ein Haus hüten. Das wurde mir gerade
angeboten, aber ich habe abgelehnt. Ich will nicht in Portugal Urlaub machen
- ich will die Welt verändern.