[sfv-rundmail] 06.02.2003 Präventivkrieg
gegen den Irak?
Sehr geehrte Umweltfreunde,
als Reaktion auf unseren Aufruf zur Teilnahme
an einer
Friedensdemonstration erhielten wir einen nachdenklichen
Brief eines Vereinsmitgliedes. Der Briefschreiber
merkte
sinngemäß an, dass ein bedingungsloser
Pazifismus die
Entwicklung von Diktaturen und weltweitem Unrecht
begünstige. Der zweite Weltkrieg hätte
z.B. vermieden
werden können, wenn die damaligen Alliierten
- entweder
1935 beim Bruch des Versailler Friedensvertrages
durch
den Einmarsch im entmilitarisierten Rheinland
oder 1938
anlässlich der deutschlandweiten Ausschreitungen
gegen
die Juden in der Reichsprogromnacht - den damaligen
Diktator Hitler rechtzeitig in die Schranken
gewiesen
hätten.
Da dieses Argument immer wieder als Begründung
für einen
Angriff auf den Irak auftaucht, möchten
wir öffentlich
darauf antworten:
Sicherlich kann man im Nachhinein die Appeasement-Politik
der damaligen Allierten - Frieden um jeden Preis
- als
fatalen Fehler bezeichnen und damit argumentieren,
dass
durch ein früheres militärisches Eingreifen
der
Alliierten, zu einem Zeitpunkt, als Deutschland
noch
nicht voll aufgerüstet war, die späteren
Gräuel des
Hitler-Regimes zumindest teilweise hätten
verhindert
werden können.
Doch, wer so argumentiert, sieht nicht das Dilemma,
vor
dem damals die Staatengemeinschaft genauso stand
wie sie
es heute tut; ein Dilemma, das wohl so alt ist
wie die
Geschichte der menschlichen Zivilisation überhaupt.
Wir
erleben es im internationalen Zusammenleben genauso
wie
im menschlichen Miteinander:
Alle Verbrechen der Menschheitsgeschichte hätten
vermieden werden können, wenn man diejenigen,
die
sie begangen haben, rechtzeitig vorher hingerichtet,
lebenslänglich eingesperrt oder anderweitig
"unschädlich gemacht" hätte.
Es liegt allerdings auch auf der Hand, wohin
eine
solche Präventivjustiz geführt hätte,
wie viele
Menschen ihr unschuldig und unberechtigt zum
Opfer
gefallen wären.
Eine präventive Bestrafung auf der Basis
bloßen - auch
noch so berechtigten - Verdachtes, jemand KÖNNTE
eines
Verbrechens fähig sein, stünde im Widerspruch
zu
grundlegenden Errungenschaften der Rechtsphilosophie
und
der Ethik, insbesondere zum rechtsstaatlichen
Grundsatz
der Unschuldsvermutung.
Im Völkerrecht gibt es eine entsprechende
Regelung:
Präventivkriege sind verboten.
Auch eine Überreaktion auf eine Verletzung
des
Völkerrechts ist verboten. Die Verfolgung
ethnischer
Minderheiten durch die Regierung des Irak würde
z.B.
keinen Atomangriff auf dessen Städte rechtfertigen.
Soweit vorerst die ethische Seite der Medaille.
Doch
wenden wir uns nun der machtpolitischen Seite
zu:
Natürlich verspricht ein militärischer
Angriff auf den
Irak zum jetzigen Zeitpunkt einen größeren
Erfolg als ein
späterer Angriff auf einen dann womöglich
reichlich mit
Massenvernichtungsmitteln ausgestatteten Staat.
Doch Machtpolitik ist mehr als reine Militärpolitik,
mehr
als nur das Abwägen militärischer Erfolgsaussichten:
Tatsächlich würde ein Angriff auf den
Irak, der von den
Staaten im Nahen Osten als moralisch ungerechtfertigt
angesehen wird, allen machtpolitischen Interessen
der
westlichen Staatengemeinschaft widersprechen
- auch denen
der USA! Es wäre verheerend für die
Stabilität, für die
Machtverhältnisse im Nahen Osten, wenn die
mehrheitlich
moslemische Bevölkerung die Überzeugung
gewönne, dass ein
Angriff der Industriestaaten auf den Irak vorwiegend
aus
machtpolitischen Interessen erfolgt, um die
Kräfteverhältnisse zwischen den reichen
christlichen
Industriestaaten und den überwiegend armen
mohammedanischen Staaten weiter zu verschieben.
Die
Grundlage für hassgeleiteten eskalierenden
Terror gegen
die gesamte westliche Welt würde gelegt
und verstärkt.
Das weltweite friedliche Zusammenleben der Völker
und
Religionen steht in der dann zu erwartenden Spirale
von
Terror und kriegerischen Antiterroreinsätzen
auf dem
Spiel.
Hier sind Fragen der Machtpolitik und die Frage
der
moralischen Rechtfertigung eines Angriffs untrennbar
miteinander verknüpft. Wir dürfen deshalb
nicht nur, wir
müssen uns sogar mit diesen moralischen
Fragen befassen.
Fragen wir also nach den weiteren moralischen
Gründen,
die für einen Kriegseinsatz genannt werden.
Wer moralische Motive wie etwa die Befreiung des
irakischen Volkes zur Rechtfertigung des Krieges
anführt,
der kann nicht sinnvoll erklären, weshalb
nur der Irak
befreit werden soll und nicht auch die zahllosen
anderen
Völker auf der Erde, die ebenfalls unter
- kaum
harmloseren - Unrechtsregimen zu leiden haben.
Denkt man
diese Logik zuende, müsste die Staatengemeinschaft
auf
dem halben Erdball intervenieren.
Die Legitimationsfrage eines US-amerikanischen
Angriffs
auf den Irak stellt sich insbesondere, wenn wir
uns aus
Sicht der Völker im nahen Osten einige bedenkliche
Fehlentwicklungen in den USA selbst anschauen:
Dort gibt es die Todesstrafe, dort werden alle
Angehörigen moslemischen Glaubens gesondert
staatlich
verfasst. Vermutete El-Kaida-Angehörige
- exterritorial
auf dem US-Stützpunkt in Kuba festgehalten
- erhalten
dort weder den vom Kriegsvölkerrecht garantierten
Schutz
eines Kriegsgefangenen, noch den Status eines
Untersuchungsgefangenen. Die USA besitzen
Massenvernichtungsmittel. Die USA weigern sich,
dem
Verbot von Landminen, dem Verbot biologischer
Waffen
beizutreten. Die USA haben den Vertrag mit der
Sowjetunion über die Nichtaufrüstung
im Weltraum
einseitig aufgekündigt. Die USA nehmen für
sich in
Anspruch, den Bruch von Resolutionen des Sicherheitsrates
durch Androhung militärischer Gewalt selbst
zu ahnden
(aber offenbar nur wenn es sich um Resolutionen
gegen den
Irak handelt).
Damit Sie uns nicht missverstehen: Es handelt
sich hier
"lediglich" um Mißstände innerhalb
eines Rechtsstaates,
die natürlich in keiner Weise mit den Verbrechen
des
irakischen Unrechtsregimes zu vergleichen sind;
und
selbstverständlich sind Massenvernichtungswaffen
in den
Händen des Bagdader Regimes auch für
uns weitaus
besorgniserregender als in den Händen der
USA.
Und die Legitimationsfrage bleibt: Wie lässt
es sich der
Weltöffentlichkeit und insbesondere den
Völkern des nahen
Ostens vermitteln, dass die Atommacht USA anderen
Staaten
den Besitz von Atomwaffen notfalls mit militärischer
Gewalt (einschließlich der Androhung des
ATOMWAFFEN-Einsatzes als ultima ratio!) verwehren
will?
Wie lässt sich ferner die Inkonsequenz rechtfertigen,
dass zwar der Irak mit Krieg bedroht wird, andere
durchaus vergleichbare Regime hingegen nicht?
(Man denke
nur an Nordkorea.)
Um einem weiteren Missverständnis vorzubeugen:
Wir stehen
auf dem Standpunkt, dass ein Staat, wenn er angegriffen
wird, sich verteidigen darf und soll und dass
ihm seine
Verbündeten helfen dürfen; wir, die
Unterzeichner dieses
Briefs, sind insoweit keine Pazifisten.
Aber wir lehnen einen Präventivschlag ab.
Besonders verwerflich erscheint uns ein Präventivschlag,
wenn dieser in einem von uns kaum nachzuvollziehendem
Ausmaß den machtpolitischen Eigeninteressen
eines Staates
dient, noch dazu desjenigen Staates, der selber
den
Präventivschlag ausführen will.
Abschließend noch ein Wort an diejenigen,
die eine
Beteiligung an einem Kriegseinsatz gegen den
Irak
deswegen als verpflichtend ansehen, weil sie
die Rolle
der UNO stärken wollen.
Die Sehnsucht nach einer UNO, die - mit den notwendigen
Machtmitteln ausgestattet - weltweit ohne Ansehen
der
betreffenden Staaten für die Einhaltung
der
Menschenrechte sorgt, darf uns nicht dazu verführen,
die
augenblicklichen Verhältnisse mit unserem
Wunschbild zu
verwechseln:
- Machtmittel sind genügend vorhanden,
aber
sie unterstehen nicht der UNO.
- Ankläger, Richter und vollstreckende
Gewalt
sind vorhanden, aber sie gehorchen
den
Interessen einer einzigen Regierung.
- Um die Menschenrechte, die im Irak täglich
verletzt werden, geht es nach den
öffentlichen
Bekundungen aus USA und Großbritannien
höchstens in zweiter oder dritter
Linie.
- Die Verstöße, um deretwillen
der Irak
angegriffen werden soll, Besitz
von
Massenvernichtungsmitteln werden
bei anderen
Staaten hingenommen.
- Tatsächliche oder vermutete Beweise
für
Verstöße des Irak werden
den von der UNO
mit der Untersuchung beauftragten
Inspekteuren
vorenthalten. Sie werden stattdessen
zur
Aufheizung der öffentlichen
Meinung verwendet.
In diesem Zusammenhang stimmt es
sehr
bedenklich, dass Colin Powell am
5.2. vor der
UNO unverblümt bezweifelt hat,
dass der
elementare Rechtsgrundsatz "In dubio
pro reo"
auch für den Irak gelte.
All diese Überlegungen bekräftigen uns
darin, einen
Präventivkrieg gegen den Irak eindeutig
abzulehnen.
Wir fordern Sie auf, an den geplanten Groß-
Demonstrationen am 15. Februar in Berlin oder
in
der Europäischen Hauptstadt Brüssel
teilzunehmen.
Informationen finden Sie unter <www.15februar.de>
Wir werden unsere Teilnahme unter dem Motto durchführen:
Erneuerbare Energien
statt Krieg um Öl
Damit möchten wir nicht nur jeden Einzelnen
auf eine
mögliche wichtige friedensschaffende Eigeninitiative
(Bau
einer PV-Anlage, Fahren mit Pflanzenöl,
Beteiligung an
Windkraftanlegen usw.) hinweisen. Wir erhoffen
uns
außerdem, dass die Regierenden die Notwendigkeit
einer
energischen Förderung der Energiewende besser
als bisher
erkennen.
Für den Vorstand des Solarenergie-Fördervereins
Georg Engelhard, Wolf von Fabeck, Jürgen
Grahl
PS In eigener Sache:
Neue Mitglieder erhöhen das politische
Gewicht unseres
Vereins. Der Mitgliedsbeitrag beträgt
jährl. 61,36 EUR.
(Ermäßigter Beitrag 23,01 EUR
auch bei Mitgliedschaft
in mehreren Vereinen)
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