Die Ost-West-Wochenzeitung | 07.04.2006
Verlogene Argumente, vergiftete Köder
IM GESPRÄCH
Hermann Scheer über den geplanten
Durchmarsch der Energiewirtschaft, naive
Politiker und parlamentarischen Widerstand
Ob als kompromissloser Publizist, strategischer
Denker oder gewiefter
Taktiker - Hermann Scheer gehört
zu den weltweit profiliertesten Verfechtern
erneuerbarer Energien. Als SPD-Abgeordneter
im Bundestag hat er Mehrheiten
für neue Energiegesetze und als
Präsident von EUROSOLAR gesellschaftliches
Engagement organisiert. Seine Bücher
"Solare Weltwirtschaft", "Politiker"
und "Energieautonomie" sind - weit über
Fachfragen hinaus - Klassiker für
jede Reformdiskussion.
FREITAG: Das "Erneuerbare Energien Gesetz"
sorgt mit seinen verbindlichen,
20 Jahre geltenden Vergütungen der
Stromeinspeisung für einen regelrechten
Boom bei Windrädern, Solar- und
Biogasanlagen. Als geistiger Vater dieses
Gesetzes müssten Sie mehr als zufrieden
sein. Warum mahnen Sie trotzdem zur
Vorsicht?
HERMANN SCHEER: Ich mahne nicht zur Vorsicht,
ich warne vor der Naivität,
den inzwischen zahllosen Lippenbekenntnissen
einfach nur Glauben zu
schenken. Offiziell ist inzwischen jeder
für erneuerbare Energien. Aber
unter dem Mantel der Befürwortung
bereitet sich das gesamte herkömmliche
Energiesystem auf einen Durchmarsch vor,
dessen Hemmungslosigkeit
offensichtlich die Fantasie vieler Kritiker
übersteigt. Man muss sich nur
anschauen, woran gegenwärtig gearbeitet
wird. Es geht nicht nur darum, die
Atomkraft wieder auf die Tagesordnung
zu setzen. Mit aller Macht und koste
es, was es wolle, sollen die nicht-konventionellen
fossilen Energiequellen
erschlossen werden, nicht nur die bekannten
Ölschiefer, etwa in Kanada,
sondern auch Methanhydrate in den Ozeanen.
Und künftig will man sich den
Gas- und Ölvorkommen zuwenden, die
unter den Eismassen der Arktis vermutet
werden. Dieses System, das für die
Weltklimakrise verantwortlich ist, kennt
keine Rücksicht, ist aber zu jedem
Zynismus fähig, etwa nach dem Motto: Dass
die Eisdecken an den Polen schmelzen,
ist zwar nicht schön, aber sichert uns
neue Möglichkeiten.
FREITAG: Traditionelle Öl- und Stromkonzerne
könnten künftig doch auch in
das Geschäft mit regenerativen Energien
einsteigen. Oder halten Sie das für
ausgeschlossen?
HERMANN SCHEER: Bislang sind solche Engagements
reine Public Relations.
Einige wenige Konzerne versuchen, bei
den neuen Entwicklungen ein bisschen
mit dabei zu sein, aber nirgends als
treibende Kraft. Shell beispielsweise
ist vor einigen Jahren mit großer
Werbebegleitung in die Photovoltaik
eingestiegen, aber nur in die Produktion
von Solarmodulen. Das ist das
Einfachste. Das kann jeder mittelständische
Unternehmer. Wo Shell mit der
Möglichkeit hohen Kapitaleinsatzes
gefordert gewesen wäre, bei der
Massenproduktion von Solarsilizium, dem
gegenwärtigen Engpass, hat das
Unternehmen nichts getan. Solange Ölkonzerne
nur mit mittelständischen
Unternehmen konkurrieren, statt wirklich
ans Eingemachte zu gehen, ist
dieses Engagement nicht mal halbherzig.
Nicht überraschend ist dann auch
Shell kürzlich aus der Photovoltaik,
aus diesem für das Unternehmen
sachfremden Gebiet, wieder ausgestiegen.
Wenn es ein ernsthaftes Interesse
an erneuerbaren Energien gäbe, dann
müssten Ölhändler und
Raffineriebetreiber vor allem auf ihrem
ureigenen Feld tätig werden und
Biokraftstoffe anbieten. Gerade das tun
sie nicht.
FREITAG: Aber selbst die Konzernchefs wissen,
dass irgendwann das
Ölzeitalter zu Ende ist.
HERMANN SCHEER: Natürlich wissen sie
das. Trotzdem machen sie weiter,
solange es irgendwie geht. Weshalb das
geschieht, habe ich in meinen Büchern
Solare Weltwirtschaft und Energieautonomie
ausführlich begründet. Die
Grunderkenntnis lautet: Ein Energiesystem
ist niemals neutral gegenüber
seinen Energiequellen. Es muss in all
seinen Facetten zugeschnitten sein auf
seine Energiequellen. Von den Techniken
der Energiegewinnung und -umwandlung
über die notwendigen Infrastrukturen
bis hin zu den Unternehmensformen -
alles hängt von den Energiequellen
ab und ist darauf bezogen. Deshalb ist
jedes Energiesystem parteiisch und hält
an seinen Energiequellen fest, um
ein riesiges Geflecht von Investitionen,
von Strukturen und von Macht zu
verteidigen. Um so naiver, unpolitischer
ist die Vorstellung, dass die
heutigen Energieanbieter einfach zu erneuerbaren
Energien wechseln könnten.
Trotzdem wird ihnen immer noch, und das
ist das eigentlich Fatale, das
Handlungsmonopol zugestanden, als sei
eine kontinuierliche Versorgung nur
mit ihnen möglich.
FREITAG: In Deutschland sind zumindest
die Stromkonzerne auch in der
Defensive. Die erneuerbaren Energien
nehmen ihnen Marktanteile ab und
deshalb werden Garantien für die
Auslastung neuer Großkraftwerke gefordert.
HERMANN SCHEER: Investitionsgarantien wären
schlicht verfassungswidrig,
mindestens europarechtswidrig. Man muss
sich klar machen, welche
Möglichkeiten der Absicherung künftiger
Investitionen es gibt. Dann wird
deutlich, worum es eigentlich geht. Theoretisch
wäre erstens die
Wiederherstellung der Gebietsmonopole
denkbar. Das würde allerdings dem
europäischen Binnenmarkt widersprechen
und ist deshalb keine realistische
Option. Zweitens könnte man sich
eine planmäßige Abnahmegarantie vorstellen,
gewissermaßen eine Mammutquote
zugunsten von Großkraftwerken. Auch das hätte
mit Marktregeln nichts zu tun und wäre
weder zu begründen noch
durchzusetzen. Damit bleibt drittens
nur noch der Angriff auf das
"Erneuerbare Energien Gesetz". Wenn dieses
Gesetz auch künftig so dynamisch
ausgenutzt wird wie in der Vergangenheit,
dann ist klar, dass eine
Großinvestition in ein herkömmliches
Kraftwerk, das mehrere Jahre Bauzeit
beansprucht und dann 20 oder 25 Jahre
gut ausgelastet sein muss, kaum noch
zu kalkulieren ist. Solche Projekte werden
zu riskant, wenn der Zuwachs
erneuerbarer Energie in der bisherigen
Stetigkeit ununterbrochen weitergeht.
FREITAG: Wie können die deutschen
Stromkonzerne das noch verhindern, nachdem
der energiepolitische Roll-Back, der
mit einer schwarz-gelben Koalition
gestartet worden wäre, ausgeblieben
ist?
HERMANN SCHEER: Die Stromwirtschaft hatte
schon konzeptionell vorgearbeitet,
Mitte 2005 ihren Jahreskongress unter
dem merkwürdigen Titel "Nachhaltige
oder ökologische Energiepolitik?"
abgehalten und dort die Forderung nach
einem Quotenmodell verabschiedet. Bei
einer festgelegten Quote für
erneuerbare Energien und entsprechenden
Ausschreibungen hätten die
Stromkonzerne ihre Kapitalmacht gegenüber
neuen, unabhängigen Anbietern
ausnutzen, das Thema übernehmen
und das Investitionsmonopol zurückgewinnen
können, also genau das, was sie
in den vergangenen fünf Jahren zumindest
teilweise verloren haben. Nun ist der
geplante direkte Angriff an den
Wählern gescheitert und an der SPD,
die stur geblieben ist und das
"Erneuerbare-Energien-Gesetz" als ihr
eigenes Gesetz verteidigt. Aber der
Konflikt ist damit nicht beendet, er
wird aktuell auf der Ebene der
Bundesländer weiter geführt,
vor allem mit administrativen Schikanen. So
verhindern in Baden-Württemberg
sehr restriktive Höhenbegrenzungen das so
genannte "Repowering" von Windenergieanlagen.
Bestehende Windräder können
deshalb kaum durch höhere und wesentlich
leistungsstärkere ersetzt werden.
In Nordrhein-Westfalen begrenzen verschärfte
Abstandsvorschriften den Ausbau
der Windenergie.
FREITAG: Die Stromkonzerne würden
größere, möglichst gesetzliche Hürden
bevorzugen.
HERMANN SCHEER: Zu erwarten ist deshalb
eine Attacke auf der europäischen
Ebene. Die Argumente werden lauten: Wir
dürfen der europäischen Entwicklung
nicht zu weit vorauseilen, der Markt
soll über die Effizienz von
Energiequellen entscheiden, nur Quoten
und der Handel mit
Emissionszertifikaten sind mit den Marktgesetzen
vereinbar. Dem Publikum
wird man die bekannten vergifteten Köder
vorwerfen: europäische
Harmonisierung, effizientere Förderung,
marktgemäßere Förderung. Eine große
Gefahr besteht darin, dass ehrliche Befürworter
erneuerbarer Energien, sogar
Institute aus der Ökoszene, diese
wohl klingenden Worte nicht als
marktideologische Position erkennen.
Wer nur darauf setzt, dass die
Stromwirtschaft bestimmte fixierte Energiemengen
aus Wind, Sonne und
Biomasse in ihr Produktportfolio nimmt,
wirft die erneuerbaren Energien
ihren Gegnern zum Fraß vor.
FREITAG: Diese Gefahr könnte in einem
anderen Energiesektor schon bald
Realität werden. Ein aktueller Kabinettsbeschluss
sieht vor, dass die bisher
geltende Mineralölsteuerbefreiung
von Biokraftstoffen vorzeitig ausläuft.
Stattdessen sollen zunächst geringfügige
Steuersätze gelten. Möglicherweise
wird später die Steuerbegünstigung
zugunsten einer so genannten
Beimischungspflicht, etwa von Biodiesel
zu Diesel, vollständig gestrichen.
Dann hätten unabhängige Anbieter
von reinen Biokraftstoffen keine Chance und
die Multis würden das kontrollieren,
was sie eigentlich nicht wollen.
HERMANN SCHEER: Die Kabinettsvorlage ist
in mancher Hinsicht nicht
nachvollziehbar. Dass reines Pflanzenöl
höher besteuert werden soll als
Biodiesel, ist ein Schildbürgerstreich,
mit nichts begründbar, ein nackter
Willkürakt. Denn beim Pflanzenöl
muss man die Kosten der Motorumrüstung
berücksichtigen und natürlich
auch die Tatsache, dass sich ein Markt für
Pflanzenöl als Treibstoff gerade
erst zu entwickeln beginnt, während
Biodiesel mittlerweile etabliert ist.
Grundsätzlich ist wichtig, dass alle
Biokraftstoffe auch dann einen Preisvorteil
gegenüber fossilen Treibstoffen
behalten, wenn sie geringfügig besteuert
werden. Das Maß der Besteuerung
sollte sich nach den spezifischen Produktionskosten
des jeweiligen
Biokraftstoffs richten. Bei geringen
Herstellungskosten kann die Steuer
höher ausfallen und umgekehrt, sodass
die ganze Breite alternativer
Treibstoffe auf Pflanzenbasis eine Chance
bekommt. Eine später
vorzunehmende, differenzierte Besteuerung
ist auch in der ursprünglichen
Begründung der Mineralölsteuerbefreiung
bereits enthalten. Insofern ist die
aktuell diskutierte geringfügige
Besteuerung von Biokraftstoffen nicht die
entscheidende Auseinandersetzung. Die
eigentliche Schlacht ist der bereits
angekündigte Versuch, die Steuerbefreiung
vollständig abzulösen durch eine
Beimischungspflicht. Eine solche Entscheidung
wäre verheerend und unakzeptabel.
FREITAG: Trotzdem überzeugt eine gesetzlich
festgelegte Beimischungsquote
viele Politiker als einfaches, sicher
zu handhabendes Instrument. Sie sagen
sich: Wir legen den Anteil fest, können
diesen Anteil genau so besteuern wie
Mineralöl und die Unternehmen müssen
sich unseren Vorgaben fügen.
HERMANN SCHEER: Auf dieses vordergründig
bestechende Argument ist auch der
Finanzminister reingefallen. Trotzdem
wäre das verheerend. Denn was wäre die
Konsequenz einer gesetzlichen Verpflichtung,
einige Prozent Biodiesel dem
mineralischen Diesel oder einige Prozent
Bioethanol dem Benzin beizumischen?
Erstens bliebe es beim ausschließlichen
Anbietermonopol der heutigen
Mineralölkonzerne. Reine Biokraftstoffe
hätten ohne Steuervorteil keine
Chance. So nimmt man jede Dynamik aus
dem System. Das ist innovations- und
mittelstandsfeindlich. Jeder Versuch,
die Quote, den Beimischungsanteil,
später zu erhöhen, wäre
ein zähes Ringen. So liefert man das Anliegen,
regenerative Energien in den Kraftstoffmarkt
einzuführen, denjenigen aus,
die daran kein Interesse haben. Zweitens
hätten Fahrzeuganbieter keinerlei
Druck, neue Autos auf den Markt zu bringen,
die mit reinem Biokraftstoff
fahren. Stattdessen würde man auf
die so genannten biosynthetischen
Kraftstoffe warten, für die man
dann keine neuen Motoren braucht. Das hieße
aber, für die nächsten 15 Jahre
passiert nichts, ein unverantwortlicher
Aufschub. Und drittens würden weltweit
operierende Mineralölkonzerne
vermutlich alles tun, um die Kosten ihrer
Bioverpflichtung ohne ökologische
Rücksicht zu minimieren. Da tropisches
Pflanzenöl aus großen Plantagen am
billigsten ist, wäre mit einer beschleunigten
Abholzung von Regenwäldern zu
rechnen.
FREITAG: Wie wollen Sie verhindern, dass
die Steuervorteile von
Biokraftstoffen gekappt werden?
HERMANN SCHEER: Meine Haltung ist in der
SPD-Fraktion eindeutig
Mehrheitsauffassung. Selbst bei der CDU
und in den Länderregierungen gibt es
überwiegend Sympathie für die
Steuerbegünstigung, weil ohne sie eine ganze
mittelständisch geprägte Industrie
gefährdet wäre. Die Frage ist nur: Wer
knickt weg, wenn´s hart auf hart
kommt, wenn die Bundesregierung bestimmte
Entscheidungen miteinander verknüpft?
Meine Antwort lautet: Dann muss eben
die Stunde des Parlaments schlagen. Dann
müssen die Abgeordneten im
Bundestag klar machen, dass sie Räuberpistolen
nicht akzeptieren. Den
Konflikt muss man riskieren.
FREITAG: Gibt es angesichts der vielen
Politiker, die auf der Gehaltsliste
von Energiekonzernen stehen, im Parlament
noch den erforderlichen Mut und
die Freiheit, sich allein von Kriterien
der Vernunft leiten zu lassen?
HERMANN SCHEER: Es gibt keinen Fortschritt
ohne Streit, keinen Fortschritt
im Energiekonsens. Die Energiewirtschaft
hat im Laufe der letzten 100 Jahre
die Rolle einer vierten Staatsgewalt
beansprucht und zugestanden bekommen.
Entsprechend intensiv sind die Beziehungen
zwischen Politik und Unternehmen.
Aber jenseits der persönlichen,
nicht selten auch korruptionsanfälligen
Bindungen hält man vor allem aus
strukturellen Gründen an einem überholten
Energiesystem fest. Denn alle Investitionen
in das System sind nie zum
gleichen Zeitpunkt abgeschrieben. Das
betrifft ja nicht nur Kraftwerke,
sondern auch Leitungs- und Verteilersysteme,
Förderlizenzen und vieles mehr.
Ständig werden Ergänzungsinvestitionen
vorgenommen, die in der Regel
langfristig angelegt sind. Deshalb will
man in seinem angestammten Geschäft
bleiben, solange es irgendwie geht und
ohne Rücksicht auf die Folgen.
Politischer Konsens ist also das falsche
Mittel. Man darf den Konflikt nicht
scheuen und muss die Wirtschaft in Energiefragen
spalten.
Das Gespräch führte Hans Thie